Meinungsblog: TTIP – Sprechen wir doch mal von Chancen

Die Ansichten und Argumentationen der Verfasser*innen des Jusos Neukölln-Meinungsblogs sollen die öffentliche Debatte über sämtliche politische Themen voranbringen und sind damit nicht zwingend Meinung der Jusos Neukölln.

TTIP – Sprechen wir doch mal von Chancen
von Fabian Fischer
,
Kreisvorsitzender der Jusos Neukölln und Vorsitzender des Fachausschusses Europa der SPD Berlin

Sprechen wir doch mal von den Chancen und Vorteilen, die uns das Freihandelsabkommen TTIP bietet. Das ist ein Wunsch des ehemaligen Kanzlerkandidaten Peer Streinbrück, den er am 27.10.2014 in der Süddeutschen äußert, denn „Angst hilft nicht weiter“ – so der Titel seines Gastbeitrags. Stimmt, Angst ist zwar nicht per se schlecht, sie hat eine nützliche Warnfunktion gegen mögliche Gefahren, aber sie ist letztendlich dazu da, besiegt zu werden. Dauerhaft mit Angst Politik gestalten zu wollen, wird nicht funktionieren.

Wir brauchen endlich eine ernsthafte Auseinandersetzung
Ich würde auch gern mal eine ernsthafte Auseinandersetzung führen, welche Chancen und Vorteile TTIP bietet. Bisher kommt da aber von Befürworter*innen, ob nun aus dem Wirtschaftsministerium, der Europäischen Kommission oder Wirtschaft nicht viel. Klar, es werden Gutachten vorgestellt, die darstellen sollen, welche positiven Folgen TTIP für unsere Wirtschaft und Beschäftigung hat und wie ungefährlich Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) sind. Dumm nur,
- wenn die Resultate marginal sind (0,05% BIP-Wachstum pro Jahr),
- Statistiken aufgeführt werden, die bei einer Nachfrage der Realität nicht standhalten (statistisch 545 Euro pro Haushalt mehr pro Jahr heißt eben  nicht, dass alle ein Stück vom Kuchen bekommen),
- die Gutachter*innen offensichtlich nicht neutral sind, da sie in direktem Zusammenhang mit Schiedsgerichten stehen
- und zudem Gutachten von namhaften Universitäten erscheinen, die ebenso überzeugend wie die Studien von EU und Bundeswirtschaftsministerium darstellen, dass es nicht zu einem Wirtschaftswachstum sondern –rückgang mit TTIP kommt (vgl. Jeronim Capaldo: TTIP).

Denunziation ist das Mittel einiger TTIP-Befürworter*innen
In dieser Gemengelage haben einige TTIP-Befürworter*innen in ihrer Not zu einem bewährten Mittel gegriffen: Denunziation. Und im Handumdrehen wurden aus den Kritiker*innen potentielle Kleingeister, Antiamerikaner*innen oder Nationalist*innen („im Fahrwasser der AfD“). Diese Argumente sind noch ein bisschen armseliger als die genannten, „unabhängigen“ Gutachten.
Peer Steinbrück muss für seinen Artikel gelobt werden, denn er kann es besser und nennt tatsächlich drei Argumente: TTIP sei ein Mittel zur Gestaltung der Globalisierung, TTIP sei Industriepolitik für den Mittelstand (=das Rückgrat der Wirtschaft) und TTIP sei ein Mittel zur Wiederbelebung der transatlantischen Beziehungen, die im Lichte der aktuellen außenpolitischen Situation wichtiger sind als je zuvor.

Ich kann aufgrund der Kürze des Textes nur eines dieser Argumente genauer beleuchten: Peer Steinbrück meint, dass TTIP ein Mittel ist, Leitplanken für die globale Wirtschaft hochzuziehen, da das Abkommen als Blaupause für weitere Freihandelsabkommen dienen soll. Dieser Logik könnten sich Sozialdemokrat*innen nicht verwehren, denn wir wollen ja mehr Regeln für die Globalisierung. Doch welche Standards will TTIP denn hier wie setzen? Warum ist ein umfassendes Abkommen auf „höchstem Liberalisierungsniveau“ (O-Ton Kommission) ein Vorbild für sozialdemokratische Wirtschafts- und Handels- und Entwicklungspolitik? Bisher ist unklar, wie TTIP hier höhere, bessere, verbindlichere Standards setzen kann.

In Punkten, die uns Jusos und der SPD wichtig sind, ist das bisher nicht zu erkennen: Davon, dass TTIP einhergehen muss mit einer verbindlichen Ratifizierung der ILO-Kernarbeitsnormen, was eine deutliche Verbesserung für amerikanische Arbeitnehmer*innen bedeuten würde, ist bisher aus der Kommission nicht viel zu hören. Stattdessen fordern die Kritiker*innen dies als verbindliche Voraussetzung für die Zustimmung. Wenn die Befürworter*innen mit dem gleichen Engagement diese Forderung übernehmen würden, dann könnten wir womöglich tatsächlich ein Vorbild für Arbeitnehmer*innenrechte weltweit bilden. Ähnlich verhält es sich auch beim Lieblingsstreitpunkt, dem Investitionsschutz oder präziser den Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS). Mitnichten ging es der Kommission oder der Bundesregierung zu Beginn der Verhandlungen darum, mit TTIP diese bisher bewährten Verfahren grundlegend zu reformieren und damit einen neuen Standard für globale Investitionen zu setzen.

Der wachsende öffentliche Druck auf die Politik ist von zentraler Bedeutung
Erst als binnen weniger Monate 500.000 Unterschriften gegen TTIP gesammelt wurden, täglich neue Protestbriefe und –aufrufe gegen diese intransparenten Verfahren erschienen und sich viele Verbände, Gewerkschaften, Vereine und Organisationen klar gegen ISDS positionierten, lenkte die Kommission mittels eines Konsultationsverfahrens ein, dessen Ergebnis inzwischen eine deutliche Sprache spricht (97% der 150.000 Einreichungen lehnen ISDS generell ab). Und die Bundesregierung denkt inzwischen laut darüber nach, wie der Investitionsschutz ganz neu aufgestellt werden kann. Prima: Großer Protest zeigt eine gewisse Wirkung. Aber ohne vorherigen massiven öffentlichen Druck gibt es auch keine Leitplanke für die Globalisierung. Und genau deshalb sind Skeptiker*innen misstrauisch. Und sind bisher auch kaum zu beruhigen: Nur durch eine plötzliche Angst, dass mit diesem groß angelegten und allumfassenden Abkommen etwas kommen könnte, was man nicht versteht und kontrolliert, konnte zumindest vorerst die Kommission und Bundesregierung zum Halten gebracht wurden. Was wäre denn passiert, hätte es diese Angst und die daraus resultierenden Proteste nicht gegeben? Und wie viele andere „Standards“ sind in TTIP enthalten, die möglicherweise ebenso kritisch hinterfragt werden müssen, ob sie tatsächlich eine Chance für die Globalisierung darstellen? Die Antworten darauf bleiben aus. Und die Befürworter*innen können sie nicht zufriedenstellend geben.

Ich bin dafür, diese Debatte zu führen: sachlich und nicht hysterisch. Aber solang ernsthafte Bedenken eines großen Teils der Bevölkerung, damit abgetan werden, dass sich hier Antiamerikaner*innen zu Wort melden, die „am deutschen Wesen die Welt genesen“ sehen wollen, sind es nicht (nur) die Kritiker*innen, die hysterisch reagieren. Wenn die TTIP-Befürworter*innen bessere Argumente haben und auf die Kritikpunkte Antworten finden, können wir weiterreden.

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