Das geplante Handelsabkommen mit Kanada ist weniger ein Handelsvertrag im klassischen Sinne, in dem es Zölle abbaut, sondern es geht vor allem um den Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse und die Förderung von Investitionen auf beiden Seiten des Atlantiks. Da eine klare Definition und Abgrenzung nicht-tarifärer Handelshemmnisse fehlt und zudem Investoren mit einer maximal liberalisierten einen maximalen Profit erzielen würden, da dann Investitionsbedingungen optimal wären, stehen die grundsätzlichen Ziele des Abkommens im Widerspruch zur sozialdemokratischen Idee einer Wirtschaftsordnung, die durch Standards, Normen und Regeln, Schutz bieten soll für ArbeitnehmerInnen, VerbraucherInnen und die Umwelt.
Daher muss kritisch geprüft werden, ob es in den Verhandlungen gelungen ist, ausreichende Barrieren gegen den Abbau von Schutzstandards aufzubauen. Eine Guideline dafür können die 14 Punkte sein, die die SPD auf ihrem Parteikonvent am 20.09.2014 beschlossen hat.
I. Investorenrecht und internationale Schiedsgerichtsbarkeit
Dieser Punkt wurde im Zuge der Verhandlungen zu TTIP am heftigsten kritisiert. Diesem Druck ist es wohl zu verdanken, dass Sigmar Gabriel und andere sozialdemokratische Minister einen Vorschlag zu einem reformierten Investorenschutz aufgestellt haben, der in den Nachverhandlungen zum Teil Einzug in CETA gehalten hat. Es ist positiv zu bewerten, dass dies gelungen ist. Unbestreitbar ist das jetzt in CETA festgehaltene Investorenklagerecht fortschrittlicher als zuvor. Aber es ist und bleibt ein Sonderklagerecht, welches sich von der ordentlichen nationalen (und internationalen Gerichtsbarkeit) in mehreren Punkten abhebt.
1. Zusammensetzung und Organisation des ICS
Nach Artikel 8 (Artikel 8.27) setzt sich das zu gründende Investment Court System (ICS) aus einem Tribunal mit 15 Richtern und einer Berufungsinstanz zusammen. Die Richter werden nicht, wie bisher von den beiden Streitparteien benannt, sondern von den beiden Vertragsparteien Kanada und der EU. Für die Prozessordnung sollen die ICSID-Konvention bzw. die UNCITRAL-Regeln gelten. Dieses quasi-ständige Tribunal ist ein Vorteil gegenüber dem bisherigen System, aber weit davon entfernt, was einem ordentlichen Gerichtssystem entsprechen würde. Der Deutsche Richterbund kritisiert in seiner Stellungnahme zum CETA-Entwurf, dass die Auswahl der Richter nur aus den Bereichen internationales Handels- und Investorenrecht erfolgen soll. Diese Rechtsbereiche schränken die Auswahl kompetenter Richter extrem ein, zumal in den Verfahren zu Investitionsstreitigkeiten nationales Arbeits-, Sozial-, oder Umweltrecht berührt werden, also Rechtsbereiche, die ein Handelsrichter nicht per se mit in Betracht zieht. Problematisch bleibt zudem die Besoldung der Richter. CETA legt fest, dass die Richter einen „retainer fee“ erhalten, um permanent erreichbar zu sein. Dies beträgt rund 2.000 Euro. Zusätzlich werden sie wie bisher pro Fall bezahlt. Dieser Umstand wird vom Deutschen Richterbund zurecht scharf kritisiert, da eine solche Regelung eben nicht eine Unabhängigkeit der Justiz garantiert, sondern klar finanzielle Anreize für möglichst viele Fälle vor dem ICS schafft.
2. Unbestimmte Rechtsbegriffe
Nach Artikel 8.18 im CETA-Vertrag können Investoren das Tribunal anrufen, wenn sie sich in ihren Rechten in Sektion C (Diskriminierungsverbot) und Sektion D (Investorenrecht) des Kapitels 8 verletzt fühlen.
In Artikel 8.10 gesteht CETA allen Investoren „gerechte und billige Behandlung“ zu. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff sollte im Folgenden näher definiert werden, in dem Beispiele für Verstöße gegen die „gerechte und billige Behandlung“ aufgezählt werden. Dabei wird erneut ein unbestimmter Rechtsbegriff, nämlich der „offensichtlichen Willkür“ verwendet. Dies bringt keinen Gewinn an Klarheit, da natürlich jeder Investor mit einem Klageansprach behaupten kann, dass eine offensichtliche Willkür vorliegt und dann erneut ein Investitionsgericht bestimmten muss, ob und wieso Willkür vorliegt oder nicht. Der SPD-Parteikonvent hat hier sehr klar formuliert, dass es die Partei unbestimmte Rechtsbegriffe ablehnt.
3. Verhältnis zum nationalen Recht, Ansprüche von Investoren und Rechtsfolgen
Das Verhältnis zum nationalen Rechtsschutz bleibt weiter problematisch. So ist auch im neuen CETA nicht vorgesehen, dass der nationale Rechtsweg ausgeschöpft wird, bevor beim Investitionstribunal Klage eingereicht wird. Zwar ist eine „No U-turn“- Klausel im Text enthalten. Diese besagt jedoch lediglich, dass alle Verfahren auf nationaler (und inter-nationaler) Ebene beendet werden müssen, sobald Klage vor dem Investitionstribunal eingereicht wird.
Auch das Argument, dass bei bestehenden Handelsabkommen ein solches Vorgehen Standard ist, kann nicht gelten, da Sondergerichtsbarkeiten eine unnötige Privilegierung (Stichwort: funktionierender Rechtsschutz) ausländischer Investoren darstellen, die in der Vergangenheit zwar praktiziert wurde, dadurch in der Sache aber nicht richtiger wird.
Der Deutsche Richterbund stellt in Frage, ob die EU überhaupt die Kompetenz hat, einen solchen Investitionsgerichtshof aufzustellen. Mit der Einsetzung des ICS würden sich die Union und ihre Mitgliedstaaten einer Gerichtsbarkeit unterwerfen, die Entscheidungen des ICS wären bindend (Artikel 30.1). Damit würde die Rechtssetzungsbefugnis der Union und ihrer Mitgliedstaaten eingeschränkt und das etablierte Rechtssystem geändert. Für eine solche Änderung fehlt der Union laut Deutschem Richterbund die Rechtsgrundlage.
Der Tatsache, dass CETA für ausländische Investoren weiterhin materielle Zusatz Ansprüche an Staaten definiert, und den damit einhergehenden Risiken von Klagen gegen legitime staatliche Regelungen, wird im überarbeiteten CETA mit dem expliziten Verweis auf ein „Recht zu Regulieren“ (Right to Regulate) begegnet. Die Vertragspartner bestätigen („reaffirm“) in Artikel 8.9., dass sie das Recht auf Regulierung haben, um legitime Politikziele zu erreichen. Beispielhaft werden verschiedene als legitim erachtete Maßnahmen aufgelistet (z.B. zum Schutz des Gesundheitswesens, der Umwelt, der Verbraucher, der sozialen Sicherung etc.), wobei eine explizite Nennung arbeitnehmerrechtlicher Maßnahmen fehlt. Zwar ist dies eine offene Liste, was bedeutet, dass auch der Schutz von Beschäftigten als ‚legitim‘ erachtet werden kann. Eine konkrete Nennung würde aber zu mehr Rechtsklarheit führen. Eine zusätzliche Schwierigkeit stellt das Wort „legitim“ dar. Denn bei der Feststellung der Legitimität entsteht ein deutlicher Beurteilungsspielraum bezüglich der Frage, welche Maßnahmen als legitim angesehen werden und welche nicht.
Zusammenfassung: Die Vorschriften zum Investorenrecht werden in der Öffentlichkeit am kontroversesten und heftigsten diskutiert. Die entsprechenden Kapitel sind die einzigen, die in den Nachverhandlungen zu CETA geändert wurden. Dabei wurden Kritikpunkte der Sozialdemokratie aufgegriffen. Viele weitere Probleme bleiben bestehen und die Forderungen des Parteikonvents aus unserer Sicht nicht erfüllt.
II. Liberalisierungsvorschriften und „right to regulate“
Um den Handel und Investitionen auf beiden Seiten des Atlantiks auch im Dienstleistungsbereich anzukurbeln enthält CETA in den Kapitel 8.4, 9.3 und 9.4 Öffnungs- und Liberalisierungsvorschriften. Monopolbildung und direkte oder indirekte Diskriminierung von ausländischen Dienstleistungsanbietern wird damit verboten. Alle Dienstleistungen werden zunächst von dieser Vorschrift erfasst. Ausgenommen werden Dienstleistungen, die in hoheitlicher Gewalt erbracht werden wie in Kapitel 8.1 definiert ist. Dort heißt es: « activities carried out in the exercise of governmental authority means activities carried out neither on a commercial basis nor in competition with one or more economic operators ».
Diese enge Definition von öffentlichen Dienstleistungen beinhaltet zweifelsfrei staatliche Leistungen wie Polizei, Feuerwehr, Justiz- und Gefängnisverwaltung. Bei einer weiteren Bereichen, die wir gemeinhin als öffentliche Dienstleistung begreifen, wird es allerdings schon schwieriger: Unsere gesetzliche Krankenversicherung wird nicht direkt durch Regierungshandeln ausgeführt, sondern von den Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Es kann interpretiert werden, dass diese sich im Wettbewerb mit Unternehmen der privaten Krankenversicherung befinden, zumindest für einen Teil der Bevölkerung, der sich sowohl gesetzlich als auch privat versichern kann. Umfasst Kapitel 8.1 also die Krankenversicherung und deren Leistung? Dieses Beispiel zeigt, dass eine klare Abgrenzung privater vor öffentlichen Dienstleistungen schwierig ist und deshalb die Gefahr besteht, dass Investoren versuchen, in die von uns geschützten Märkte einzudringen.
Das CETA-Abkommen verfolgt als erstes Handelsabkommen überhaupt einen sog. Negativlistenansatz bei der Liberalisierung. Nach diesem Prinzip sind alle Dienstleistungen liberalisiert, außer für jene, die explizit in dem Abkommen aufgelistet sind. Auf die Gefahren eines solchen Vorgehens wurde schon früh hingewiesen. Auch die SPD hat sich in ihrem Konventsbeschluss für den bewährten Positivlistenansatz ausgesprochen, in dem alle Dienstleistungen gelistet werden, die liberalisiert werden können. Alle anderen sind automatisch ausgeschlossen. Warum CETA erstmals einen anderen Ansatz verfolgt, wurde nie offiziell begründet.
CETA hat die Negativliste in zwei Annexen I und II ausgestaltet, in denen sich Listen für Ausnahmen für die EU und ihre Mitgliedstaaten finden. Annex I enthält dabei die Vorbehalte, die aus den aktuellen Regulierungsmaßnahmen ergeben. Hierfür enthält CETA zudem eine sog. Ratchet-Klausel, die für die Vorbehalte in Annex I gilt. Diese ist u.a. festgehalten in Artikel 8.15 (Investitionen), 9.7 (Dienstleistungen) und 13.10 (Finanzdienstleistungen). Die Formulierung ist immer die Gleiche. Ausnahmen von den Liberalisierungsvorschriften dürfen nicht die CETA-Bestimmungen zum Marktzugang und zur Nichtdiskriminierung vermindern. Sie sind nur zulässig „to the extent that the amendment does not decrease the conformity of the measure, as it existed immediately before the amendment“. Eine Liberalisierung kann daher nicht zurückgenommen werden, da die Maßnahme nicht den Zustand vor der Maßnahme wieder herstellen kann.
Sollten in Zukunft die jetzt ausgenommenen Dienstleistungen doch liberalisiert werden, verhindert die Ratchet-Klausel eine spätere Rekommunalisierung. Die Klausel folgt also der Entwicklung von Dienstleistungen hin von öffentlich zu privat. Eine Rückkehr zu staatlichen Dienstleistungen wird so unmöglich gemacht. Für Annex II gilt diese Klausel nicht. Hier werden Vorbehalte für zukünftige Regulierungen festgehalten, die auch wieder diskriminierender ausgestaltet werden können.
Beide Methoden – Negativliste und Ratchet-Klausel sind hoch problematisch und wurden vom SPD-Konvent zu Recht abgelehnt.
In einem Gutachten im Auftrag des Staatsministeriums Baden-Württemberg hat der Rechtswissenschaftler Prof. Martin Nettesheim Auswirkungen des Abkommens auf die Regelungskompetenz von Bundesländern und Kommunen untersucht. Seinem Urteil zufolge berühren die Regelungen im Abkommen den politischen Gestaltungsspielraum der Länder und Kommunen. Wie im ersten Absatz dieses Kapitels beschrieben sieht auch Nettesheim die Ausschlussklauseln und die Vorbehalte, die sich im Vertragstext und in Erklärungen der EU und Deutschlands finden, unzureichend. Die Regelungen zu „public utilities“ und der „social services“ leiden unter Unklarheit. Diese Unklarheiten lassen nicht ausschließen, dass insbesondere bei grenzübergreifenden Dienstleistungen (Kapitel 9) Regelungen erschwert oder unmöglich gemacht werden, die zur Sicherung umwelt-, sozial- oder auch kulturpolitischer Ziele dienen, aber als Marktzugangsbeschränkung angesehen werden können. Nettesheim meint daher: „Der […] Vorbehalt von „public utilities“ gilt nicht für Beschränkungen der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung. Die von der EU und der Bundesrepublik Deutschland in den Annexen I und II formulierten Vorbehalte greifen nur partiell. Gerade deshalb ist nochmals daran zu erinnern, dass es sinnvoll ist, im Kontext der Festlegung des Gehalts der Garantien von Marktzugang und Inländerbehandlung festzulegen, dass die Anwendung und Durchsetzung von gemeinwohlsichernden Rahmenbedingungen nicht als Verletzung von CETA angesehen werden kann.“ (Nettesheim, Martin: „Die Auswirkungen von CETA auf den politischen Gestaltungsspielraum von Ländern und Gemeinden“, 2016, S.39f.) In einem Executive Summary formuliert Nettesheim Änderungsvorschläge um einen klaren Schutz von öffentlichen Dienstleistungen zu erreichen. Derartige Vorschläge wurden nicht in CETA aufgenommen, so dass die Auswirkungen auf den politischen Gestaltungsspielraum unklar bleiben.
III. Arbeits- und Sozialstandards
Arbeits- und Sozialstandards sind in CETA in einem eigenen Kapitel (Kapitel 23) festgehalten. Begrüßenswert ist es, dass sich beide Seiten auf die Umsetzung sozialer Mindeststandards wie der ILO-Kernarbeitsnormen verpflichten. Kanada hatte bisher nur sechs von acht Normen ratifiziert, hat nun aber die Umsetzung der letzten beiden Normen angekündigt bzw. befindet sich in der Umsetzung.
Mit einem Konsultationsprozess sollen zivilgesellschaftliche Akteure, wie z.B. Gewerkschaften in die Anwendung und Überwachung der Regeln eingebunden werden. Problem dabei ist aber, dass im Streitfall die Durchsetzung und tatsächliche Anwendung der Arbeits- und Sozialstandards durchgesetzt werden kann. In Artikel 23.9 bis 23.11 wird ein spezifisches Streitschlichtungsverfahren für den Bereich Arbeit und Soziales (ebenso im Kapitel 24 für den Bereich Umwelt) aufgeführt, welches Regierungskonsultationen, die Einrichtung eines dreiköpfigen Expertenpanels für Empfehlungen und die Verabschiedung eines Aktionsplans zur Behebung der Missstände beinhaltet. Explizit ausgeschlossen wird in Artikel 23.11 die Anwendung des Streitschlichtungsmechanismus im restlichen CETA-Abkommen, nämlich den ICS. Das heißt, dass für die Bereiche, die der Sozialdemokratie besonders wichtig sind und für die sie eine klare Sanktionierung bei Verstößen in dem Konventsbeschluss gefordert hat, diese gerade nicht vorhanden ist. Diese Privilegierung von privatrechtlichen Investoren gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Gewerkschaften und Umweltorganisationen ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel.
IV. Umweltstandards und Vorsorgeprinzip
In Artikel 24 werden Vorschriften zum Umweltschutz aufgeführt. Wie schon im Kapitel zu Arbeits- und Sozialstandards gilt bei deren Überschreiten ein gesonderter Streitschlichtungsmechanismus, der keine Klagen gegen den verursachenden Staat beinhaltet.
An keiner Stelle in CETA wird auf das in Europa geltende Vorsorgeprinzip, welches vor allem bei Umwelt- und Verbraucherstandards entscheidend ist, Bezug genommen. Die Verbraucher- und Umweltstandards der Staaten sollen laut Artikel 5.1 nicht als ungerechtfertigte Handelsbarrieren dienen und somit den Handel einschränken. In Artikel 28.3 Nr.1, dem Kapitel für Ausnahmeregelungen heißt es, dass für Kapitel 5 des Abkommens zu „Sanitary and Phytosanitary Measures“ (SPS), was wir als Verbraucher- und Umweltstandards definieren, Artikel XX des GATT-Abkommens von 1994 für CETA gelten soll. Dieses beinhaltet Regeln, welche bereits für die EU und Kanada gelten und Möglichkeiten zur Gesetzgebung im Umwelt- und Gesundheitsbereich eröffnen. Artikel 21.2 verweist ebenfalls auf die Regulierungen im GATT 1994 und dem SPS-Abekommen zu den genannten „Sanitary and Phytosanitary Measures“. Dort wird in Artikel 2 festgehalten: „Die Mitglieder stellen sicher, dass sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen nur in einem solchen Ausmaß angewendet werden, das notwendig ist, um das Leben oder die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen zu schützen, diese Maßnahmen auf wissenschaftlichen Grundsätzen beruhen und nicht ohne ausreichende wissenschaftliche Beweise aufrecht erhalten werden, soweit im Artikel 5.7 nichts anderes vorgesehen ist.“
Der Verweis auf die wissenschaftlichen Grundlagen und Beweise ist gegen das Vorsorgeprinzip gerichtet, welches eine Zulassung eines Stoffes oder eines Produktes schon dann verwehrt, wenn der Verdacht einer Schädigung für Menschen, Tiere oder Pflanzen vorliegt. Die Vorschriften in CETA sind nicht dazu geeignet, dieses Prinzip bei eventuellen Klagen von Investoren zu schützen. Da sowohl Kanada und die USA bereits die EU bzw. deren Mitgliedstaaten bei der WTO aufgrund des Vorsorgeprinzips erfolgreich verklagt haben, ist es wahrscheinlich, dass dies wieder passiert.
V. Konsequenzen für die SPD
Unbestreitbar haben die Handelsabkommen TTIP und CETA zu einer massiven Verunsicherung und Protest innerhalb der Bevölkerung geführt. Praktisch alle großen NGOs, Verbände, Vereine und gesellschaftlichen Institutionen haben sich zu diesen Abkommen geäußert, um sie von Industrie- und Wirtschaftsseite überwiegend positiv und v.a. auf Arbeitnehmerseite und von Umweltorganisationen schroff zurückzuweisen. Es dürfte klar sein, dass die Bevölkerung dem Thema negativ gegenübersteht und die Abkommen ablehnt – unabhängig davon, ob sie dies aus rationalen Gründen oder irrationalen Ängsten tut. Die Massendemonstration gegen TTIP und CETA im Oktober 2015, der Versuch einer europäischen Bürgerinitiative mit Millionen Unterschriften und viele weitere Aktionen zeugen von dieser Ablehnung. Es erscheint unmöglich, hier kommunikativ eine positive Aussicht auf dieses Abkommen klarzumachen. Daran ändern auch die durchaus erfolgreichen Kompromissversuche der SPD und anderer sozialdemokratischer Parteien nichts. Das Thema ist „verbrannt“.
Dies bedeutet aber auch aus unserer Sicht, dass die große Gefahr besteht, dass die SPD sich an dem Thema verbrennt. Sollte die Partei entgegen dem Widerstand ihrer Basis und mit einer intransparenten oder aggressiven Argumentation dem Abkommen zustimmen, wird dies große Teile der Bevölkerung und der Parteibasis verschrecken und vermutlich zu weiteren Parteiaustritten führen.
Es kann aus Sicht der CETA-BefürworterInnen argumentiert werden, dass dies in Kauf genommen werden müsse, wenn die besseren Argumente für die Annahme von CETA daliegen würden (was sie unserer Meinung nicht tun!). Die Wahrheit ist aber, dass derzeit die Ratifizierung von CETA unwahrscheinlich ist, selbst wenn die SPD im Bundestag und im Europäischen Parlament dafür stimmen würde. Bleibt es bei der derzeitigen Rechtsauffassung, dass die nationalen Parlamente zur Zustimmung nötig sein werden, wird in Deutschland auch der Bundesrat vermutlich 2017 über CETA abstimmen. Die Grünen, die an zahlreichen Landesregierungen beteiligt sind, haben dann die Chance, das Abkommen in der Länderkammer zu Fall zu bringen und damit im Bundestagswahljahr als einzig standhafte Partei dazustehen. Die SPD wäre der große Verlierer. Aber nicht nur die Grünen kündigen Widerstand an. Regionale Parlamente wie das Parlament der belgischen Region Wallonie haben Ablehnung angekündigt (In Belgien besitzen die Regionalparlamente Gesetzgebungskompetenz in vielen Bereichen und sind für die Ratifizierung von Handelsabkommen nötig). Auch das bulgarische Parlament hat Widerstand angekündigt. Ablehnung könnte auch von der linken griechischen und der von EU-KritikerInnen tolerierten linken portugiesischen Regierung kommen. Die Ablehnung eines einzigen dieser Parlamente könnte das gesamte Abkommen zu Fall bringen. Angesichts dieser Aussichten sollte es sich die Partei dreimal überlegen, ob sie zum Steigbügelhalter eines Abkommens werden will, welches ihrem eigenen Beschluss widerspricht, welches in vielen Punkten folglich nicht sozialdemokratisch ausgestaltet ist und welches auf den entschiedenen Widerstand der Bevölkerung trifft.
Kritische Bewertung von CETA der Jusos Neukölln zum Download (PDF)