Beschluss: Sozial und demokratisch. Für einen Richtungswechsel auch in Europa!

Dieser Antrag wurde vom Fachausschuss (FA) ”Europa” geschrieben. Unser Kreisvorsitzender Fabian Fischer ist Mitglied des FA und erarbeitete diesen Antrag mit. Die Jusos Neukölln haben diesen Antrag beschlossen – nun wird er auf die Kreisdelegiertenversammlung (KDV) der SPD Neukölln geschickt, mit dem Ziel auf den Landesparteitag (LPT) der SPD Berlin geschickt und beschlossen zu werden.

Europa befindet sich in einer substanziellen Krise. Seit dem Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers reißt die Serie an Hiobsbotschaften für die Finanz- und Realwirtschaft der europäischen Staaten nicht mehr ab. Es werden Rettungs-pakete geschnürt und Reformen der makroökonomischen Governance-Architektur des Euroraums verkündet, um ein Auseinanderfallen des gemeinsamen Währungsgebiets zu verhindern. Diese Reformen brechen jedoch nicht mit einem für die Krise verantwortlichen verengten Wirtschaftsverständnis und werden deshalb bei der Stabilisierung des Euro-Raumes langfristig nicht erfolgreich sein.

Die Krise ist keine Staatsschuldenkrise! 
Um der Krise Einhalt zu gebieten, setzten Europas mehrheitlich konservative Staats- und Regierungschefs in der Vergangenheit an verschiedenen Punkten an, verfehlten jedoch die Bekämpfung der Ursachen. All die begonnenen Reformen der Finanz- und Wirtschaftsarchitektur -Europäisches Semester, reformierter Stabilitäts- und Wachstumspakt („Sixpack“ und „Twopack“), die Einführung einer vertraglichen Schuldenbremse, der Euro-Plus-Pakt oder die Einrichtung eines dauerhaften Europäischen Stabilisierungsmechanismus greifen zu kurz, sie sind teilweise sogar falsch, und vermögen nicht, die grundsätzlichen Konstruktionsmängel der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zu überwinden.

Die Krise ist nicht Folge von hoher Staatsverschuldung durch schlechte Haushaltsführung. Wie sich an den Beispielen Spanien und Irland belegen lässt, sind selbst Staaten, die nach den Kriterien der Wirtschafts- und Währungsunion vorbildlich gewirtschaftet haben, nun im Sog der Krise und müssen zu hohe Zinsen auf ihre Staatsanleihen zahlen. So wichtig das grundlegende Ziel einer Reduzierung zu hoher Staatsverschuldung ist, die extrem in die Höhe geschossenen Staatsschulden sind eine direkte Konsequenz aus der Rettung systemrelevanter Banken und staatlicher Konjunkturpakete in der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2007-2009. Sie sind nicht Konsequenz verfehlter Haushalts-politik der Mitgliedstaaten.

Der Abbau des so entstandenen Schuldenbergs kann jedoch nicht durch Kürzungen an den Sozialsystemen der europäischen Länder in Folge aufgezwungener Sparprogramme vorangetrieben werden. Wer Löhne und Sozialausgaben radikal zusammenstreicht, verhindert zukunftsweisende Investitionen ebenso wie den zur Ankurbelung der Wirtschaft dringend benötigten Konsum. Steigende Arbeitslosigkeit und ausbleibende Steuereinnahmen führen in der Konsequenz zu einem Teufelskreis aus Rezession und Schulden.

Es zeigt sich seit nunmehr drei Jahren, dass sich die Krise mit Hilfe rigoroser Privatisierungs- und Sparpolitik nicht lösen lässt. In den betroffenen Staaten bricht nicht nur die Binnennachfrage weg, am gravierendsten ist jedoch, dass auch ein großer Teil der Bevölkerung in Armut gestürzt wird. Die von populistischen Medien und Politikern angeheizte Stimmung, ganze Völker hätten jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt, ist falsch und zu verurteilen. Der Großteil der Bevölkerung Griechenlands, Spaniens, Italiens, Portugals, Zyperns oder Irlands gehört nicht zu den Verursachern der Krise, muss aber als Folge neoliberaler Politik deren Kosten tragen.

Wir sagen ganz klar: Es handelt sich nicht um einen Konflikt unterschiedlicher Mitgliedstaaten in der Eurozone. Es handelt sich vielmehr um einen Konflikt zwischen denjenigen, die vor und in der Krise profitiert haben, und denjenigen, die nun die Konsequenzen tragen müssen. Sinkende Lohnstückkosten – bedingt durch sinkende Real-löhne bei gleichzeitiger Produktivitätssteigerung und einer zu weit gehenden Deregulierung des Arbeitsmarktes mit übermäßigem Ausbau des Niedriglohnbereichs und dem Fehlen von Mindestlöhnen begünstigten die Entstehung enormer Leistungsbilanzungleichgewichte im Euroraum. Die Konsequenz dieser Vernachlässigung der Binnennachfrage tragen nicht nur die Menschen in Deutschland, sondern auch unsere Nachbarn. Der unter anderem man-gels Binnennachfrage erfolgende Exportüberschuss deutscher Waren und Kapital an seine europäischen Handels-partner führte dort zu immer höheren privaten Schulden und negativen Handelsbilanzen – begünstigt durch einen unzureichenden Regulierungsrahmen. Deutschland ist also keineswegs der „gesunde Musterknabe“, der seinen verkrusteten Arbeitsmarkt auf Vordermann gebracht und kluge Lohnzurückhaltung geübt hat, sondern Teil des Problems. Wir benötigen deswegen einen gesetzlichen Mindestlohn, eine Tarifpolitik, die Inflation und Produktivitätsgewinne überkompensiert, und die Re-Regulierung von Zeit- und Leiharbeit.

Gleichzeitig erstarkt der Nationalismus in den europäischen Mitgliedstaaten. Wo sich das Bild von nicht hart genug arbeitenden Menschen in Südeuropa durchsetzt, so wie es gerade in Teilen der deutschen Medien gezeichnet wurde, fehlt die Grundlage für Solidarität und werden die wirklichen Ursachen der Krise verschleiert. Die Krise lösen können nicht einzelne Mitgliedstaaten, sondern nur die Europäische Union insgesamt. Mehr Europa, nicht weniger muss die Antwort auf die gegenwärtige krisenhafte Zuspitzung im Euroraum sein. Die wirtschaftliche und politische Einheit Europas bleibt auch in Zukunft unser erklärtes Ziel.

Was jetzt zu tun ist: Unser sozialdemokratischer Weg aus der Krise
Für eine wirksame und nachhaltige Bekämpfung der Krise müssen kurzfristige und langfristige Maßnahmen getroffen werden. Diese müssen neben wirtschaftlichen Gesichts-punkten auch sozialen Aspekten standhalten und zudem die Demokratie in Europa schützen und fördern.

Kurzfristig gilt es, den Euroraum zu stabilisieren. Hierzu sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:

  • Ausgabe gemeinsamer Eurobonds: Eine unbedingt erforderliche Maßnahme ist ein System, wonach ein Teil der nationalen Schulden im Rahmen eines europäischen Verbundsystems (sog. Eurobonds) begeben und besichert werden.
  • Die Einrichtung eines Fonds zur Tilgung der Altschul-den für alle Mitgliedstaaten, der sich über gemeinschaftlich begebene und besicherte Anleihen finanziert, ist dabei vordringlich.
  • Die Gewährung von Krediten an in Zahlungsschwierigkeiten geratene Staaten über die EFSF und den ESM muss zu niedrigen Zinssätzen und über einen langfristigen Zeitraum erfolgen. Die harte Konditionierung mit radikalen Einschnitten in die Wohlfahrtsstaaten und Volkswirtschaften ist kontraproduktiv. Statt Spardiktaten müssen die Reichen an der Konsolidierung beteiligt werden!
  • Um staatliche Tätigkeit mit ausreichenden Finanzmitteln zu gewährleisten und die Verursacher der Krise an den Kosten zu beteiligen, sind folgende Maßnahmen nötig: eine europäische Finanztransaktionssteuer, Steuererhöhungen für Wohlhabende sowie eine ein-malige europäisch koordinierte Vermögensabgabe für einen notwendigen Lastenausgleich und eine effektive Gläubigerbeteiligung beim Schuldenabbau.
  • Bei der Ausarbeitung des Mehrjährigen Finanzrahmens muss eine stärkere Gewichtung auf die Ausgaben im Bereich regionale Entwicklung, Forschung und Entwicklung sowie Soziales gelegt werden. Generell sollte das Volumen des EU-Haushalts steigen, z.B. durch eine Reform des EU-Eigenmittelsystems mittels einer EU-Steuer.
  • Statt auf Austerität zu bauen, sollte ein europäisches Investitionsprogramm für Wachstum, Innovation und Beschäftigung aufgelegt werden. Der Mechanismus zu den Schuldenregeln im reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie im Fiskalpakt muss kritisch hinterfragt und reformiert werden.
  • Revision des Stabilitäts- und Wachstumspakts: Anstelle der bislang gültigen Fixierung auf öffentliche Verschuldung fordern wir zusätzlich die Einbeziehung privater Verschuldung. Das neue Verfahren zur Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte weist dabei in die richtige Richtung, sollte aber auf eine symmetrische Anpassung der Ungleichgewichte setzen und nicht einseitig die Defizitstaaten benachteiligen. „Exportweltmeister“ zu sein ist kein ökonomisch vernünftiges Ziel.

Um die strukturellen Defizite des Euroraums zu überwinden, ist eine Revision der bestehenden Verträge notwendig. Mittel- und langfristig gilt es deshalb, folgende Maßnahmen anzugehen:

  • Aufbau einer politischen Union: Langfristig ist zusätzlich zur bestehenden Währungsunion eine echte Wirtschafts- und Sozialunion aufzubauen. Wir benötigen eine demokratisch kontrollierte europäische Wirtschaftsregierung, um makroökonomische und finanzielle Ungleichgewichte innerhalb der Union zu vermeiden.
  • Aufbau einer europäischen Sozialunion: Die Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa muss wieder ins Zentrum der EU-Politik rücken. Dazu sollte ein Sozialer Stabilitätspakt eingerichtet werden, der gemein-same Rahmenregeln für Mindestlöhne, die Höhe der Sozialausgaben und eine Harmonisierung der Unternehmenssteuern, verbindlich und orientiert an der jeweiligen Wirtschaftsleistung eines jeden Mitgliedstaats, vorgibt.
  • Reform der Europäischen Zentralbank: Für eine Abkehr von einer alleinigen Fixierung auf die Inflationsvermeidung ist es höchste Zeit. Bei der Ausrichtung ihrer Zinspolitik soll die EZB in Zukunft auch andere Zielgrößen – etwa Beschäftigung und nominelles Wirtschaftswachstum – einbeziehen.

Wir stehen zu einem Europa, in dem alle Mitgliedstaaten gleichberechtigt zusammenarbeiten. Wir verurteilen eine Haltung, die das deutsche Wirtschaftsmodell und die deutsche Krisenpolitik anderen Mitgliedstaaten aufzwingen will. Eine Union kann nur bestehen, wenn sich alle gegenseitig respektieren und bereit sind, voneinander zu lernen. In diesem Sinne fordern wir mehr denn je die Umsetzung des europäischen Leitgedanken, der die unterschiedlichen Lebensweisen in Europa begrüßt: „In Vielfalt geeint“.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>